Parlamentswahl in Frankreich 2024

Wahl der XVII. Nationalversammlung Frankreichs im Jahre 2024
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Die nächste Parlamentswahl in Frankreich wird am 30. Juni und 7. Juli 2024 stattfinden. In zwei Durchgängen werden die 577 Abgeordneten der 17. Nationalversammlung bestimmt. Die vorgezogene Neuwahl wurde notwendig, nachdem der französische Staatspräsident Emmanuel Macron noch am Wahlabend der Europawahl am 9. Juni 2024 die Auflösung des Parlaments angekündigt hatte.[1]

Wahlverfahren

Die Abgeordneten werden nach einem Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen gewählt. Im ersten Wahlgang ist ein Abgeordneter eines Wahlkreises gewählt, wenn er mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erreicht hat, sofern seine Stimmenzahl mindestens 25 % der Wahlberechtigten seines Wahlkreises entspricht. Sollte dieses Ziel kein Kandidat erreichen, so rücken diejenigen Kandidaten, die wenigstens die Stimmen von 12,5 % der Wahlberechtigten des Wahlkreises auf sich vereinigen konnten, in den zweiten Wahlgang vor; immer jedoch mindestens die beiden Kandidaten, die die meisten der abgegebenen Stimmen im ersten Wahlgang erzielen konnten. Dies führt in vielen Wahlkreisen zu sogenannten "triangulaires", also einem zweiten Wahlgang mit drei Kandidaten.

Im zweiten Wahlgang reicht die relative Mehrheit der Stimmen, um den Parlamentssitz des Wahlkreises zu gewinnen; alle anderen Stimmen bleiben unberücksichtigt. Der Mehrheitskandidat repräsentiert den Wahlkreis in seiner Gänze.

Ausgangslage

Parlamentswahl 2022 (Erster Wahlgang)
 %
30
20
10
0
25,8
25,7
18,7
10,4
4,2
3,1
2,7
2,3
7,1

Bei der Parlamentswahl im Juni 2022 hatte das Parteienbündnis Ensemble des amtierenden Präsidenten Macron deutlich an Stimmen eingebüßt und lag im ersten Wahlgang gleichauf mit der linken Parteienkoalition Nouvelle union populaire écologique et sociale (NUPES). Insgesamt hatte der Verlust von 105 Mandaten im Vergleich zur vorherigen Wahl den Verlust der absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung zur Folge. Der von Jean-Luc Mélenchon geführten NUPES gelang es, mehr als doppelt so viele Mandate zu erringen wie noch 2017. Die Bildung einer gemeinsamen Fraktion, welche die zweitgrößte im Parlament gewesen wäre, scheiterte jedoch. Dem rechten Rassemblement National, der zuvor nur mit acht Mandaten vertreten war, gelang es durch Stimmenzuwächse 2022 ihre Stärke massiv auszubauen und mit 89 Vertretern in die Nationalversammlung einzuziehen. Für Les Républicains setzte sich der Abwärtstrend der vorherigen Wahlen fort, sodass sie fast die Hälfte ihrer Mandate einbüßte und nur noch die viertgrößte Fraktion stellt.

Europawahl 2024 (Frankreich)
 %
40
30
20
10
0
31,4
14,6
13,8
9,9
7,2
5,5
5,5
12,1
Vorlage:Wahldiagramm/Wartung/Anmerkungen
Anmerkungen:
a im Bündnis mit LAF
b im Bündnis mit UDI
c im Bündnis mit PP
d im Bündnis mit weiteren Parteien
e im Bündnis mit LC

Bei der Europawahl in Frankreich am 9. Juni 2024 waren 81 der 720 Abgeordnetensitze zu besetzen. Die vom Rassemblement National angeführte Liste La France revient! (RN – LAF) erhielt 31,4 % der Stimmen und gewann mit 30 Sitzen (plus 7) klar die Wahl. Das Wahlbündnis Besoin d’Europe aus Ensemble und UDI kam auf 14,6 % und 13 Sitze (minus 10), ein Verlust von rund zehn Prozentpunkten zur vorherigen Europawahl. Nur knapp dahinter landete Réveiller l’Europe der Parti socialiste und Place publique mit 13,8 % und 13 Sitze (plus 7). Die Parteien der linken Koalition NUPES, zu denen neben der Parti socialiste auch La France insoumise und Les Écologistes gehörten, traten zur Europawahl wieder getrennt an und erhielten zusammen etwas mehr Stimmen als bei der Parlamentswahl im Juni 2022. Die rechtsextreme Partei Reconquête von Éric Zemmour erhielt 5,5 Prozentpunkte und zog mit 5 Sitzen neu ins Europaparlament.

Macron kündigte noch am Wahlabend die Auflösung der Nationalversammlung an.[1]

Parteien und Parteienbündnisse

In den ersten Tagen nach der Auflösung der Nationalversammlung bildeten sich drei große Parteien bzw. Parteienbündnisse heraus, die erklärten, den Wahlkampf gemeinsam bestreiten zu wollen:

Umfragen

Die nebenstehende Tabelle zeigt die Ergebnisse repräsentativer Umfragen über das beabsichtigte Wahlverhalten der Franzosen. Sie lässt noch keine Rückschlüsse auf die Verteilung der Sitze im Parlament zu. Durch das Mehrheitswahlrecht kann die Sitzverteilung in der Nationalversammlung von den hier angezeigten Werten erheblich abweichen, da aus jedem Wahlkreis nur der Kandidat mit den meisten Stimmen als Abgeordneter in die Nationalversammlung einzieht, während alle anderen Wählerstimmen bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigt sind.

Institut Datum ENS NFP LR RN REC Sonst.
FI PCF EELV PS
OpinionWay[5] 12. Juni 2024 19 % 25 % 9 % 32 % 4 % 11 %
Elabe[6] 12. Juni 2024 18 % 28 % 6,5 % 31 % 4 % 12,5 %
Ifop[7] 11. Juni 2024 16 % 11 % 2 % 6 % 13 % 8 % 35 % 3,5 % 5,5 %
17 % 11 % 19 % 8 % 34 % 4 % 7 %
18 % 25 % 9 % 35 % 4 % 9 %
OpinionWay[8] 10. Juni 2024 18 % 23 % 8 % 33 % 5 % 13 %
Harris Interactive[9] 10. Juni 2024 19 % 22 % 9 % 34 % 4 % 12 %

Rezeption

Die unerwartete Auflösung der Nationalversammlung am Abend der Europawahl in Frankreich wurde allgemein als Überraschung beschrieben. In Frankreich wurde sie in Anlehnung an den Titel eines französischen Spielfilms aus dem Jahr 1976[10] als la surprise du Chef (auf Deutsch: die Überraschung bzw. ein Überraschungseffekt des Chefs) bezeichnet.[11]

Die Möglichkeit, wonach der Rassemblement National die Mehrheit im Parlament erhalten könnte, sei eine „Wette“ und „völlig unverantwortlich“, die Cohabitation von bürgerlichem Präsident und rechtsextremistischem Premierminister wäre „gefährlich für das ganze Land“, schrieb die Tagesschau. Das zeuge von Macrons „Selbstüberschätzung und Realitätsverlust.“[12] Im Land herrsche nun eine große Unsicherheit über die weitere Regierung, schrieb die FAZ.[13] Im Deutschlandfunk hieß es dagegen, es sei nicht „die Aufgabe französischer Politikerinnen und Politiker, auf Biegen und Brechen eine Brandmauer gegen den Rassemblement National aufrechtzuerhalten, wenn der Wählerwille ein anderer ist.“[14]

Die deutschen Einschätzungen wurden in der europäischen Presse weitgehend geteilt,[15] während der französische Philosoph Bernard Henry-Levy das Vorgehen Macrons verteidigte: „Angesichts dieses Durchmarschs gab es zwei mögliche Haltungen: Entweder eine Vogel-Strauß-Politik. … Oder sich der Situation offen zu stellen“, schrieb er in der italienischen Tageszeitung La Repubblica.[15][16]

Am 15. Juni 2024 kam es in ganz Frankreich zu Demonstrationen von hundertausenden von Menschen gegen den Rechtsruck. Die Proteste begannen in Bayonne, Toulon und Valenciennes. In Paris war die Place de la Republique Ziel der Protestierenden.[17][18]

Einzelnachweise

  1. a b Macron löst Parlament auf: Frankreich stehen Neuwahlen bevor. In: tagesschau.de. 10. Juni 2024, abgerufen am 11. Juni 2024.
  2. ENSEMBLE - Majorité présidentielle pour les élections législatives du 30 juin et du 7 juillet. Abgerufen am 14. Juni 2024 (französisch).
  3. Nouveau Front Populaire. Abgerufen am 14. Juni 2024 (französisch).
  4. France: l'exclusion d'Éric Ciotti de la présidence du parti Les Républicains invalidée par la justice. In: Radio France Internationale. 14. Juni 2024, abgerufen am 14. Juni 2024 (französisch).
  5. OpinionWay pour CNEWS - Europe 1 - Le JDD - Baromètre législatives 2024 - 14 juin 2024. (PDF) In: opinion-way.com. 13. Juni 2024, abgerufen am 14. Juni 2024 (französisch).
  6. Les Français et les élections législatives. (PDF) In: elabe.fr. 12. Juni 2024, abgerufen am 14. Juni 2024 (französisch).
  7. Les intentions de vote des Français aux élections législatives. (PDF) In: ifop.com. 11. Juni 2024, abgerufen am 14. Juni 2024 (französisch).
  8. OpinionWay pour CNEWS - Europe 1 - Le JDD - Baromètre législatives 2024 - 10 juin 2024. (PDF) In: opinion-way.com. 10. Juni 2024, abgerufen am 14. Juni 2024 (französisch).
  9. Intentions de vote pour les élections législatives 2024, au lendemain de l’annonce de la dissolution de l’Assemblée nationale. (PDF) In: harris-interactive.fr. 10. Juni 2024, abgerufen am 14. Juni 2024 (französisch).
  10. Annie Colé, Virginie Thévenet, Papinou: La surprise du chef. In: IMDB. 28. April 1976, abgerufen am 15. Juni 2024.
  11. Rudolf Balmer: Neuwahlen in Frankreich: Coup oder Kurzschluss. In: Die Tageszeitung: taz. 10. Juni 2024, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 15. Juni 2024]).
  12. Julia Borutta: Kommentar: Macrons gefährliche Selbstüberschätzung. In: tagesschau.de. 10. Juni 2024, abgerufen am 12. Juni 2024.
  13. Niklas Záboji: Fragiles Frankreichd. In: faz.net. e, 10. Juni 2024, abgerufen am 12. Juni 2024.
  14. Christiane Kaess: Es lastet eine große Verantwortung auf Frankreichs Wählern. In: Deutschlandfunk. 10. Juni 2024, abgerufen am 12. Juni 2024.
  15. a b Frankreich: Le-Pen-Partei auf dem Durchmarsch? In: Eurotopics. Bundeszentrale für politische Bildung, 13. Juni 2024, abgerufen am 15. Juni 2024.
  16. Bernard Henry-Levy: Salvate il soldato Francia. In: La Repubblica. 12. Juni 2024, abgerufen am 15. Juni 2024 (italienisch).
  17. Frankreich vor Neuwahlen: Hunderttausende demonstrieren gegen Rechtsruck. In: tagesschau.de. 15. Juni 2024, abgerufen am 15. Juni 2024.
  18. jj/pg (afp, dpa, ap): Landesweiter Protest gegen Frankreichs Rechtspopulisten. In: Deutsche Welle. 15. Juni 2024, abgerufen am 15. Juni 2024.