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Ueber operative Heilung der Kurzsichtigkeit

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Autor: Hermann Cohn
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Titel: Ueber operative Heilung der Kurzsichtigkeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 864, 866–868, 870–871
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[864]

Ueber operative Heilung der Kurzsichtigkeit.

Von Prof. Dr. Hermann Cohn in Breslau.

Die populäre Medizin soll sich nur auf Hygieine, auf Diätetik und auf Vorbeugung von Krankheiten beschränken; die Belehrung über Heilmethoden jedoch soll den ärztlichen Zeitschriften überlassen bleiben.“

Diesen gewiß richtigen Grundsatz habe ich bei meinen im Laufe von mehr als 30 Jahren veröffentlichten gemeinverständlichen Aufsätzen und Vorträgen stets befolgt.

Wenn ich heute zum erstenmal davon abweiche und einem großen Leserkreise Mitteilungen über „Heilungen“ mache und noch obendrein über „operative Heilung“ eines so außerordentlich verbreiteten Leidens, wie es die Kurzsichtigkeit ist, so hat dies einen ganz besonderen Grund.

Wenn die operative Heilkunst einen wirklich ungeheuren Fortschritt gemacht hat, so darf man meiner Ansicht nach nicht zögern, auch das große Publikum davon in Kenntnis zu setzen, weil man dadurch bald viele Leidende einer glücklicheren Zukunft entgegenführen kann. Und die Frage muß alle Eltern und Erzieher ebenso wie die Aerzte interessieren, da es ja fast keine Familie mehr ohne kurzsichtige Mitglieder giebt.

Ein solcher Fortschritt ist nun in der Augenheilkunde sichergestellt; was noch bis vor wenigen Jahren unmöglich schien, ist gelungen; man kann die hochgradig kurzsichtigen Menschen normalsichtig machen.

Fig. 1.

Freilich sind die Vorgänge, um welche es sich dabei handelt, keinesfalls ganz leicht ohne Modelle und Apparate populär darzustellen; ich muß daher die Leser bitten, wenn sie das Wesen der neuen Heilung der Kurzsichtigkeit verstehen wollen, mir erst aufmerksam durch eine Reihe anatomischer und physiologischer Vorbemerkungen zu folgen.

Heutzutage, wo fast in jeder Familie ein kleiner photographischer Apparat existiert, kann man leicht folgende Versuche machen.

Die beiden wesentlichsten Teile einer photograpischen Camera sind bekanntlich erstens das Objektiv oder die Sammellinse (Figur 1), ein auf beiden Seiten erhaben gekrümmtes, linsenförmiges Glas, ein Brennglas, welches die Lichtstrahlen bricht und zu einem Bilde vereinigt, und zweitens eine matte Scheibe S, auf welcher das Bild aufgefangen wird.

Stellt man die matte Scheibe S in die richtige Entfernung von der Linse, in die sogenannte Brennweite, so entsteht von einem sehr fernen Lichtpunkte A auf der matten Scheibe ein scharfes Bild dieses Lichtpunktes B. Schiebt man aber die matte Scheibe weiter nach hinten hinaus, nach S1, verlängert man also die Camera, so entsteht statt des scharfen Bildes, statt des Punktes B, ein Lichtkreis, ein sogenannter Zerstreuungskreis m n, der immer größer und matter und verschwommener wird, je weiter die matte Scheibe hinausgeschoben wird. Derselbe würde bei der Stellung S2 den Durchmesser o p haben.

Fig. 2.

Auf der matten Scbeibe würden also auch von zwei fernen untereinander stehenden Lichtpunkten zwei scharfe Bildpunkte H1 H2 (Figur 2) entstehen, wenn die Linse in richtiger Entfernung von der matten Scheibe (Figur 1 S) sich befindet; zieht man aber die matte Scheibe ein wenig weiter hinaus nach S1, so werden statt dieser scharfen, getrennten Bildpunkte zwei kleine, matte Zerstreuungskreise H3 H4 entstehen, so daß allerdings noch immer zwei getrennte Punkte erscheinen, die freilich unscharf sind, die sich aber noch nicht decken. Wird die Scheibe aber noch weiter hinausgezogen nach S2, so werden die Zerstreuungskreise noch größer und unschärfer und decken sich zum Teil, sodaß man nicht mehr zwei getrennte, sondern einen großen verschwommenen Punkt sieht, H5 H6.

Fig. 3.

Eine Linie kann man sich bekanntlich zusammengesetzt denken aus unendlich vielen, aneinander gereihten Punkten. Wenn jeder derselben als Zerstreuungskreis erscheint, so decken sich alle diese Kreise zum Teil, und es entsteht dann (Figur 2) statt einer scharfen Linie R eine Reihe von Zerstreuungskreisen R1, also ein breites undeutliches Band R2.

Das Auge ist nun bekanntlich ganz ähnlich der photographischen Camera gebaut. Die wesentlichsten lichtbrechenden Teile sind aber nicht allein eine Linse (siehe Durchschnitt des Auges, Figur 3), sondern auch eine den Augapfel vorn abschließende, uhrglasförmige, durchsichtige Haut, die Hornhaut. Diese und die Linse erzeugen gemeinsam ein Bild auf der lichtempfindenden Haut, der Netzhaut, die im Auge die Stelle der matten Scheibe vertritt. Sie befindet sich ganz hinten im Auge, ist gewissermaßen eine Ausbreitung der Sehnerven und ist sehr kompliziert gebaut.

Ist die Achse des Auges von vorn nach hinten (Figur 3) 23 mm lang, so nennt man das Auge normal gebaut (emmetropisch); denn dann werden von fernen Gegenständen deutliche Bilder auf der Netzhaut entworfen; ein ferner Punkt A (Figur 3) erscheint als deutlicher Punkt B, wird also deutlich wahrgenommen. Ist die Achse des Auges aber länger, z. B. 27 mm, so entsteht von einem fernen Punkte kein deutlicher Punkt, sondern ein Zerstreuungskreis auf der Netzhaut (m n in Figur 4), und ist die Achse noch länger, z. B. 33 mm, so wird dieser Kreis immer verschwommener und undeutlicher (o p in Figur 4). Genug, je länger die Augenachse wird, um so unschärfer muß in die Ferne gesehen werden. Solche zu lang gebaute Augen heißen kurzsichtige.

Fig. 4.

Die Kurzsichtigen sehen also in die Ferne in Zerstreuungskreisen, undeutlich, und natürlich werden die Zerstreuungskreise um so mehr das Sehen stören, je größer sie sind. Je kleiner die Zerstreuungskreise sind, desto weniger werden sie stören, desto leichter können sie entwirrt werden, desto besser wird gesehen. –

[866] Die Größe der Zerstreuungskreise hängt aber nicht allein von der Entfernung des Lichtes vom zu lang gebauten Auge ab, sondern auch von der Größe der Pupille. Die Pupille oder das Sehloch ist bekanntlich eine Oeffnung in der Mitte der Regenbogenhaut oder Iris (PP1 in Figur 3 ist der Durchschnitt der Pupille). Diese dunkel erscheinende Oeffnung kann sich im Hellen zusammenziehen, verengern, im Dunkeln erweitern. (D und E in Figur 5 sind die weite und enge Pupille, von vorn gesehen.)

Wenn das Sehloch weit ist, wie in Figur 6 bei a a, so ist auch der Zerstreuungskreis a1 a1 groß. Wenn aber die Pupille klein ist, sich zusammengezogen hat, so daß der Durchschnitt nur b b ist, so ist auch der Zerstreuungskreis klein b1 b1.

Im Alter wird in der Regel die Pupille enger; daher sehen auch Kurzsichtige im hohen Alter etwas besser in die Ferne, da eben dann auch hier die Zerstreuungskreise kleiner werden.

Jeder Kurzsichtige kann diese Beobachtung an sich selbst machen, wenn er dicht an sein Auge eine Kerze hält; dadurch wird die Pupille verengert, und er sieht dann Buchstaben auf größere Distanz als vorher. Oder er sticht mit einer Stecknadel ein kleines Loch in eine Visitenkarte und blickt durch dieses hindurch; durch dieses enge Loch kommen natürlich auch weniger Strahlen auf die Netzhaut als durch die normale Pupille; daher sieht er in die Ferne deutlicher.

Ja, die Kurzsichtigen wußten schon vor Jahrtausenden, daß sie durch Blinzeln schärfer sehen konnten; indem sie die unschöne Grimasse des Zusammenkneifens der Augenlider machten, verkleinerten sie gewissermaßen auch ihre Pupille von oben nach unten, so daß die Zerstreuungskreise kleiner wurden. Daher rührt ja auch der Name, den die alten Griechen schon der Krankheit gegeben haben: Myopie von μύω, ich blinzle.

Fig. 5.

Heute weiß man durch Messungen ganz genau, daß das Wesen der Kurzsichtigkeit in der Zunahme der Achse von vorn nach hinten besteht.

Die alten Aerzte hatten aber keine Ahnung davon. Die Krankheit galt bis zum Ende des Mittelalters als ein Naturfehler, den nur Gott heilen könne.

Selbst die Erfindung der Konkavbrillen in der Mitte des 16. Jahrhunderts führte nicht zur Erkenntnis der Ursache. (Siehe meinen Aufsatz in der „Gartenlaube“ 1895, S. 367.) Erst der große Kepler wies theoretisch nach, daß die Lichtstrahlen bei den Kurzsichtigen sich nicht auf der Netzhaut, sondern vor ihr vereinigen müssen; der ausgezeichnete holländische Arzt Boerhave sprach 1708 zuerst den Satz aus, daß die Lichtstrahlen sich nur vor der Netzhaut vereinigen können, wenn das Auge allzu lang gebaut sei, und der berühmte italienische Anatom Morgagni wies 1761 diese Verlängerung der Augenachse zwischen Linse und Netzhaut wirklich nach. –

Viel bekannter als das Wesen der Myopie sind aber längst die Beschwerden derselben gewesen. Man muß verschiedene Grade der Kurzsichtigkeit unterscheiden: leichte, bei denen noch bis 1/3 m, also bis 33 cm scharf gesehen wird, mittlere, bei denen noch bis 1/6 m, also bis 16 cm, hohe, bei denen nur 1/61/10 m, also bis 10 cm, und höchste, bei denen nicht einmal bis 10 cm scharf gesehen wird.

Selbst die schwachen Grade sind ein Gebrechen; sie führen zu einer gewissen Unbeholfenheit bei denen, welche keine Brillen oder Lorgnons tragen; Vorgesetzte werden nicht gegrüßt, Untergebene werden auf der Straße für Vorgesetzte gehalten, die Orientierung in Gesellschaften ist erschwert. Nur Cardanus, der berühmte Physiker, welcher den Ring erfunden, in welchem der Kompaß stets ruhig hängt, lobte diese Kurzsichtigkeit; er meinte, die Kurzsichtigen seien sehr verliebt, da sie alle Mädchen für Engel hielten.

Aber auch die schwache Kurzsichtigkeit bis 1/3 m stört schon mitunter die Wahl des Berufs; es giebt Berufe, in denen keine Brille, auch nicht die schwächste, getragen werden kann, z. B. die Schiffahrt. Darum wird ja auch mit Recht kein Soldat zur Marine genommen, der eine Brille braucht.

Die mittleren Grade von Kurzsichtigkeit sind schon darum viel unangenehmer, weil eine ganze Reihe von Berufen von vornherein ausgeschlossen ist; es liegt nämlich bei allen Berufen, die mit Nahearbeit verknüpft sind, die Gefahr vor, daß diese mittleren Grade dabei in hohe Grade übergehen. Es genügt, hier kurz an die Thatsache zu erinnern, die ich schon vor 30 Jahren an 10000 Schulkindern nachwies und die seitdem bei mehr als 200000 Schülern bestätigt wurde, daß von Klasse zu Klasse die Zahl der Myopen und der Grad der Myopie zunimmt.

Mit der Zunahme der Kurzsichtigkeit geht aber leider auch sehr häufig Abnahme der Sehschärfe Hand in Hand, d. h. selbst mit den passendsten Brillen gelingt es nicht mehr, in die Ferne scharf zu sehen, und so muß oft spät noch ein Beruf aufgegeben werden, dessen Vorbereitung sehr kostspielige und langjährige Studien erforderte; Juristen, Aerzte, Lehrer werden ebenso schwer alsdann getroffen wie Techniker und Beamte, die den ganzen Tag zu schreiben haben.

Ein Kurzsichtiger, der nicht mehr auf ein 1/6 m liest, wird mit Recht gar nicht zum Militär genommen, da eben dann meist die Sehschärfe trotz der besten Brille ungenügend zum Schießen ist.

Fig. 6.

Die hohen und höchsten Grade der Kurzsichtigkeit sind aber keineswegs mehr ein Gebrechen, sondern wahre Krankheiten des Auges. Wir haben ja oben gesehen, daß die Kurzsichtigkeit in der Verlängerung der Augenachse besteht; je mehr diese fortschreitet, um so kurzsichtiger wird ja das Auge. Die Dehnung der Augenhäute führt schließlich zur Zerreißung der feinen Netzhaut, welche sich von ihrer Unterlage, der Aderhaut (Figur 3), ablöst, und dann zu der mit Recht höchst gefürchteten, wohl fast stets in Kürze Erblindung verursachenden Netzhautablösung. Häufig genug gehen diesem traurigen Ende der Kurzsichtigkeit als Vorläufer Trübungen in dem durchsichtigen Glaskörper voran, welche vor dem kranken Auge beständig hin und her tanzen und bei der Arbeit außerordentlich stören.

Oder aber es treten Blutungen, Berstungen von Adern in der Netzhaut und Aderhaut gerade am Ende der Sehachse (Fig. 3 B), an der Stelle im Innern des Auges auf, mit welcher wir am feinsten sehen, am sogenannten gelben Fleck der Netzhaut. Dann wird eben die Netzhaut dort in der Mitte zerstört, und infolgedessen sehen die Kranken gerade in der Mitte, wo sie deutlich wahrnehmen sollen, einen größeren oder kleineren schwarzen Fleck, oder die Zeilen werden krumm und verbogen, so daß das Lesen unmöglich wird.

Leider sind gerade diese hohen und höchsten Grade in einer Reihe von Fällen angeboren, oder es ist schon wenigstens in früher Kindheit eine Disposition vor^ Handen, namentlich wenn die Eltern und Großeltern kurzsichtig waren; denn die Kurzsichtigkeit ist ja sehr häufig erblich. Solche Kinder haben überhaupt keinen rechten Naturgenuß, keine rechte Vorstellung von ihrer Umgebung, keinen Genuß von Gemälden. Der Gesunde kann sich eine Idee machen von dem jammervollen Sehen aller hochgradig Kurzsichtigen, die nicht mehr bis 10 cm lesen können, wenn er sich eine Lupe vors Auge nimmt und in die Ferne blickt. Gerade jene hochgradigen Fälle aber sind es meist, die mit Krankheiten der Aderhaut und Netzhaut sich verbinden und erfahrungsgemäß über kurz oder lang einem schlimmen Ausgange entgegengehen. –

Die nächste Frage ist naturgemäß die: Ja, wodurch wird denn bei den Fällen von Kurzsichtigkeit, die nicht angeboren sind, das Auge von vorn nach hinten verlängert, wodurch wird es denn in den fatalen Langbau hineingetrieben?

Die feineren Ursachen kennen wir leider immer noch nicht mit Bestimmtheit; aber das wissen wir sicher, daß, wenn die Augenhäute gedehnt werden sollen, wenn sie aus ihrer kugelrunden Gestalt in eine eiförmige Gestalt übergeführt werden sollen, daß dann im Innern des Augapfels der Druck vermehrt sein muß, und dieser Druck im Innern des Augapfels wird, wie durch Experimente festgestellt ist, durch zwei Vorgänge vergrößert, die vom [867] Sehen in die Nähe untrennbar sind; das ist die Accommodation und die Convergenz der Augen.

Die Accommodation ist die wunderbare Eigenschaft, die den Augen ermöglicht, nicht bloß ferne Gegenstände zu sehen, sondern sich auch für die Nähe einrichten zu können, sich den verschiedenen Entfernungen anzupassen, zu accommodieren. An unseren Operngläsern können wir das nur erreichen, indem wir eine Schraube bewegen; nur dann können wir statt der Personen auf der Bühne die Personen in unserer Nähe deutlich erkennen.

Fig. 7.

Eine der Schraube ähnliche Einrichtung hat die Natur am Auge nicht angebracht; sie hat vielmehr einen merkwürdigen, einzig dastehenden Weg eingeschlagen, den keine Kunst bisher nachahmen konnte. Sie hat uns eine Krystalllinse gegeben, die wachsweich ist und daher durch einen Muskelzug im Innern des Auges ihre Gestalt aus einer dünnen Linse in eine dicke verwandeln kann. Beim Fernsehen hat die Linse die geringe Dicke a b (Fig. 7), beim Nahesehen die größere Dicke a1 b1, wie sie mit punktierten Linien in Figur 7 schematisch angedeutet ist.

Der Muskel, der die Linse stärker krümmt, ist in einer sehr komplizierten Weise im Auge mit der Linse verbunden; er heißt der Accommodationsmuskel und ist in der Figur 8 gezeichnet. Ohne Modell läßt sich seine Wirkung sehr schwer schildern. In dem Modell, welches ich konstruiert habe[1], lassen sich mit Leichtigkeit durch die Senkung eines Hebelarmes alle die zusammengesetzten Veränderungen, die bei der Accommodation im Auge vor sich gehen, deutlich machen.

Fig. 8.

Für uns genügt es hier, zu betonen, daß nur durch Zusammenziehung eines von der Hornhaut nach der Aderhaut gehenden, die Aderhaut spannenden Muskels die Krystalllinse aus ihrer flachen Form in die dickere übergeführt werden kann. Und dies geschieht jeden Augenblick beim Sehen in die Nähe, und dabei wird der Druck im Auge erhöht.

Ferner werden die Augen gedrückt, indem sie beim Nahesehen convergieren. Wenn wir in die Ferne sehen, so stehen die Augen parallel; wenn wir aber jemand einen Finger fest ansehen lassen und diesen seinem Auge immer näher bringen, so merken wir, daß beide Augen sich nach der Nase drehen, convergieren.

Es giebt nun an jedem Augapfel an dessen innerer Seite einen Muskel, der aus der Tiefe der Augenhöhle kommt und sich vorn in der Nähe der Hornhaut ansetzt (Fig. 9). Wenn er sich zusammenzieht, dreht er das Auge nach der Nase. Er heißt der innere gerade Augenmuskel. Ihm entgegengesetzt wirkt auf der äußeren Seite des Auges ein anderer Muskel, der das Auge nach der Schläfe dreht, der äußere gerade Augenmuskel. Die beiden inneren geraden Augenmuskeln müssen nun den ganzen Tag sich zusammenziehen, wenn in der Nähe gearbeitet wird, damit die Convergenz der Augen erreicht wird.

Fig. 9.

Indem sie sich zusammenziehen, werden ihre Gegner, die äußeren Muskeln, um so stärker und ausdauernder ausgedehnt und belasten die äußere Seite des Augapfels mit größerem Drucke. Es tritt also eine Abplattung des ursprünglich kugelrunden Augapfels ein, und der Druck wird im Innern erhöht. So entsteht also ebenfalls Wachstum in die Länge. –

Ferner verursacht auch Senkung des Kopfes, wie sie beim Auflegen auf die Arbeit so häufig vorkommt, Stauung des Blutes in den Blutadern des Auges und bewirkt also gleichfalls Zunahme des Druckes und daher Zunahme der Myopie.

Alle unsere bisherigen Bestrebungen waren nun darauf gerichtet, die erhöhte Accommodation und Convergenz der Augen und die Senkung des Kopfes auszuschalten, um das Auge nicht in den Langbau hineintreiben zu lassen, sondern seine Achse normal zu halten, also keine Myopie entstehen, vornehmlich aber schon vorhandene Kurzsichtigkeit sich nicht vergrößern zu lassen.

Man suchte also zunächst die Nahearbeit zu verringern, um Accommodation und Convergenz weniger anzustrengen. Alle unsere jahrzehntelangen Bemühungen, unsere Schulen und Arbeitsplätze besser zu beleuchten, sind auf dieser Basis gegründet. Je heller nämlich ein Gegenstand beleuchtet ist, desto weniger brauchen wir uns auf ihn zu legen, um ihn genau zu erkennen. Durch vernünftig konstruierte Schultische suchten wir seit 30 Jahren den Kindern Gelegenheit zu geben, längere Zeit gerade sitzen zu können, damit sie nicht wie früher durch die falsche und sinnlose Konstruktion der alten Schultische gezwungen würden, sich vorn überzubeugen. Darum suchen wir die Steilschrift in den Schulen einzuführen, weil bei dieser erfahrungsgemäß das Kind länger gerade sitzen kann als bei der Schrägschrift. Darum bemühen wir uns, den Druck der Schulbücher zu verbessern und die Kinder nicht durch die wahnsinnig kleine Schrift zur Accommodation und Convergenz zu zwingen.

Ich will gar nicht von der verfehlten Idee sprechen, die vor 50 Jahren verteidigt wurde, daß die Kurzsichtigkeit nur eine Angewohnheit sei, die man durch immer größeres Entfernen naher Gegenstände vom Auge bessern und abgewöhnen könne. Für solche Zwecke hatte Berthold das Myopodiorthoticon konstruiert, einen orthopädischen Apparat, der täglich den Kopf auf eine größere Distanz vom Buche brachte, welcher aber wie alle Geradehalter und Marterinstrumente die Kinder peinigte, ohne auch nur eine Spur der bereits vorhandenen Kurzsichtigkeit bessern zu können.

Man versuchte auch die geraden Muskeln der Augen, die das Auge nach innen ziehen, zu durchschneiden; aber das war ganz erfolglos.

Fig. 10.

Eine andere Idee war die, daß die Hornhaut bei den Kurzsichtigen zu stark gewölbt sei, so daß die Strahlen vor die Netzhaut fallen müßten. Darum band der berühmte Physiologe Purkinje in Breslau, der selbst kurzsichtig war, sich in der Nacht Säckchen, die mit Eisenfeilspänen gefüllt waren, auf sein Auge und glaubte dadurch seine Hornhaut abflachen zu können; natürlich war das auch ohne Erfolg. –

Eine der wichtigsten Behandlungs- und Vorbeugungsweisen waren natürlich die Brillen. Gewiß, sie leisteten und leisten Großes.

Man unterscheidet bekanntlich konvexe, wie die Objektive bei der photographischen Camera oder bei den Operngläsern gewölbt gestaltete, sogenannte Brenngläser, und konkave, hohle Gläser.

Die konkaven Gläser (Fig. 10) zerstreuen das Licht, welches aus der Ferne kommt so, daß es aus der Nähe zu kommen scheint. Strahlen, welche aus großer Ferne (A) kommen, treten hinter dem Glase so auseinander, werden so zerstreut, daß sie aus einem Punkte vor dem Glase, a, zu kommen scheinen.

Fig. 11.

Ein kurzsichtiges Auge kann bekanntlich in der Nähe gut sehen; durch ein Konkavglas werden nun Strahlen, welche aus großer Ferne kommen, so vor seinem Auge auseinander gebrochen, als kämen sie aus der Nähe. Die Lichtstrahlen, die aus großer Ferne A auf sein Auge fallen (Fig. 11), werden durch die Konkavlinse so auseinander gebrochen, daß sie nach c d und e f gehen. Wenn man diese Strahlen rückwärts verlängert, so schneiden sie sich in a; sie scheinen also dem Auge aus a zu kommen, werden daher auf der Netzhaut in b vereinigt.

[868] Die Konkavgläser, Hohlgläser, werden von 1 bis 20 numeriert; Konkavglas 1 ist das schwächste, 20 das stärkste, hohlste.

Sieht jemand ohne Glas nur bis 1 m, so wird er mit einem Hohlglas Nummer 1 in große Ferne sehen; sieht er ohne Glas nur bis 1/2 m, so wird er mit Nummer 2 in die Ferne gut sehen; sieht er ohne Glas nur bis 1/6 m, so wird ihm Konkavglas 6 (man schreibt dies auch „minus“, –6) die Fernsicht geben. Sieht er aber nur bis 1/10 m, also bis 10 cm, so müßte er mit einem Glase Nummer 10 in die Ferne scharf sehen.

Das ist aber nicht der Fall. Alle die Gläser, die stärker sind als 6, haben die sehr unangenehme Eigenschaft, daß sie die Gegenstände verkleinern und verzerren und daher von den Kranken mit Recht nicht gebraucht werden. Es giebt Aerzte, die aus theoretischen Gründen die Kranken zu so starken Gläsern zwingen wollen; allein wohl alle Kranken erklären, daß sie „sie nicht vertragen“, sie bekommen Kopfschmerzen, Unsicherheit, und sie sind klüger als ihre Aerzte, sie werfen diese starken Gläser fort.

Fig. 12.

Diese stärken Gläser, nach der neuen Rechnung Nummer 9 bis 20, verzerren nämlich die Bilder, da sie am Rande sehr dick sind und also wie Prismen daselbst wirken. Sie verkleinern aber auch alles und bringen die Kranken dazu, die Entfernung der Gegenstände für größer zu halten, also falsch zu projizieren. Das kann jeder gesunde Mensch nachfühlen, wenn er sich ein starkes Konkavglas, z. B. Nummer 16 oder 20, aufsetzt.

Somit waren wir bisher in der größten Verlegenheit, was wir Kurzsichtigen etwa raten sollten, welche nur bis 10 cm sehen. Man kann nicht jedem sagen: „Werden Sie Gastwirt, Gärtner, Seiler, Bierbrauer, Bäcker oder Landwirt.“ Besonders schlimm waren wir daran, wenn jemand in den besten Mannesjahren bei zunehmender Kurzsichtigkeit einen solchen Grad derselben erreichte, daß man ihm keine Brille mehr geben konnte.

Gerade diese Fälle können nunmehr geheilt werden, und zwar ist das der große Fortschritt der letzten Jahre, daß man auf operativem Wege solche Kranke normalsichtig machen kann. Und zwar wodurch? Dadurch, daß man ihnen die Krystalllinse aus dem Auge herausnimmt. –

Jetzt muß man natürlich fragen: Können denn die Lichtstrahlen noch in dem Auge vereinigt werden, wenn die Krystalllinse herausgenommen ist?

Wir haben im Anfange dieses Aufsatzes gesagt, daß die Lichtstrahlen im gesunden Auge nicht allein durch die Linse, sondern auch durch die Hornhaut (h Figur 12) gebrochen werden. Hat man die Linse herausgenommen, so geschieht die Brechung natürlich nur noch durch die Hornhaut allein. Diese Strahlenbrechung ist aber lange nicht mehr so stark, als daß die Strahlen auf der Netzhaut in einem Punkte sich vereinigen könnten, sondern da eben die Linse, die sie dahin zusammengebracht hat, fehlt, vereinigen sich die Lichtstrahlen, die von A kommen (Figur 12), erst hinter der Netzhaut in b und bilden auf der Netzhaut einen Zerstreuungskreis, c d. Ein gesundes Auge, dem die Linse herausgenommen ist, wird also in der Ferne nur ganz undeutlich, verschwommen sehen.

Es wird aber sogleich statt eines Zerstreuungskreises wieder ein scharfes Bild auf der Netzhaut entstehen, wenn man anstatt der herausgenommenen Linse vor die Hornhaut eine ähnliche Linse wie die herausgenommene, eine gewölbte, konvexe Glaslinse setzt (L in Figur 13). Diese bricht die Strahlen eben wieder richtig zusammen.

Fig. 13.

Natürlich muß ein normales Ange, dem die Linse herausgenommen ist, auch mehrere Brillen bekommen, eine schwächere für die Ferne und eine stärkere für die Nähe, da es ja nun wegen Mangels der Linse nicht mehr für verschiedene Entfernungen accommodieren kann. – –

Es ist jetzt wohl in allen Schichten der Bevölkerung bekannt, daß häufig im Alter sich die Krystalllinse trübt, grau wird, so daß die Pupille nicht mehr schwarz, sondern grau erscheint; diese Linsentrübung nennt man seit Jahrhunderten grauen Star. Die Kranken sehen von Tag zu Tag weniger und zählen schließlich nicht mehr die vorgehaltenen Finger, behalten aber guten Lichtschein. Man heilt den grauen Star bekanntlich, indem man die trübe Linse aus dem Auge herausnimmt. Natürlich müssen also solche Kranke, wenn sie operiert sind, zum scharfen Sehen für die Ferne und für die Nähe verschiedene Konvexbrillen erhalten. Man nennt diese Brillen auch Starbrillen.

Nun hat schon Boerhave vor 200 Jahren die Beobachtung gemacht, daß Kurzsichtige, denen wegen Star die Linse entfernt wurde, keine Konvexgläser für die Ferne brauchen, ohne Brillen in die Ferne scharf sehen, und er hat schon den ganz richtigen Grund angegeben.

Fig. 14.

Wenn das Auge kurzsichtig ist, zu lang gebaut ist, so werden (siehe Figur 14) Lichtstrahlen, die von A aus der Ferne kommen, vor der Netzhaut in B vereinigt, solange die Linse im Auge ist; auf der Netzhaut entsteht also beim Sehen in die Ferne ein Zerstreuungsbild, ein Zersteuungskreis e f; wird aus einem solchen Auge die Linse entfernt (Figur 15), so werden die Lichtstrahlen nur noch durch die Hornhaut (h) gebrochen, und es kann nun von dem Punkte A bei dem langen Bau des Auges auf der weit entfernten Netzhaut ohne Brille ein scharfes Bild B entstehen.

Der erste, der die Idee aussprach, man könnte ja durch Entfernung der durchsichtigen Linse, also ohne daß sie durch Star getrübt ist, die Kurzsichtigkeit heilen, war August Gottlieb Richter, Professor in Göttingen. Dieser sagte es schon 1790. Aber erst 1817 warf der berühmte Augenarzt Georg Josef Beer in Wien wiederum die Frage auf, da auch er sah, wie ausgezeichnet Kurzsichtige, die er an Star operiert hatte, ohne Stargläser in die Ferne sahen. Aber ebensowenig wie Richter wagte er eine solche Operation. Höchst interessant ist es heute, die eigenen Worte Beers zu lesen: „Wer steht,“ sagte er, „für den Erfolg dieser Operation überhaupt? Zumal bei der Ausziehung einer durchsichtigen Linse? Wird der Kurzsichtige nicht vielmehr selbst, indem er die Annäherung eines jeden Instrumentes deutlich sieht, automatisch dem Operateur die größten Hindernisse in den Weg legen? Wie schwer ist schon die Ausziehung des Stares bei einer noch nicht vollkommen verdunkelten Linse! Wer dieses nicht versucht hat, kann es, auch unmöglich beurteilen. Indessen lohnte es sich doch immer der Mühe, wenn sich ein solcher Höchstkurzsichtiger einmal wenigstens zu einem solchen Heilmittel verstände.“

Fig. 15.

Es ist nämlich in der That ein großer Unterschied, ob man eine trübe oder eine durchsichtige Linse aus dem Auge nimmt; je trüber sie ist, desto fester hängen ihre Teile miteinander zusammen, desto leichter ist die Entfernung.

Daher haben ja die Alten schon gesagt, der Star ist reif, d. h. die Linse ist so getrübt, daß sie zur Operation reif ist. Eine durchsichtige Linse aber ist wachsweich und kann nur in einzelnen Teilen entfernt werden, wobei noch viel zurückbleiben und Entzündung hervorrufen kann.

[870] Die Furcht vor Entzündung und Vereiterung des Auges bei einer solchen Operation hielt daher bis zum Jahre 1858 alle Operateure von derselben fern. Da erst berichtete Adolf Weber aus Darmstadt auf der Heidelberger augenärztlichen Versammlung, daß er hochgradig Kurzsichtigen wiederholt die Linse, und zwar die durchsichtige Linse, herausgenommen und ihnen die Arbeitsfähigkeit wiedergegeben hätte, ohne daß nachteilige Folgen entstanden seien. Auch Professor Mooren in Düsseldorf hatte zur selben Zeit schon einige Fälle operiert und die Methode empfohlen. Aber die damaligen ersten Meister des Fachs erklärten sich gegen die Operation.

Der große Graefe meinte, das weitere Fortschreiten der Kurzsichtigkeit könne doch nicht dadurch aufgehalten werden und innere Entzündung sei bei der Operation zu erwarten; auch der ausgezeichnete Operateur Arlt war dagegen.

Donders, der hervorragende Physiologe in Utrecht, nannte die Operation sogar „eine strafbare Vermessenheit“, weil man den Kurzsichtigen nicht seiner Accomodation berauben dürfte, und weil ja doch dem Auge kein wesentlicher Vorteil erwachsen würde. Er erzählte sogar, daß ihn ein Patient zu der Operation „zu verleiten“ gesucht habe. Er stützte sich auf lauter theoretische Bedenken, hatte aber keinerlei praktische Erfahrungen.

Jetzt nach 40 Jahren erfahren wir aus der inhaltsreichen soeben erschienenen Schrift von Professor Mooren „über die medizinische und operative Behandlung kurzsichtiger Störungen“, daß Albrecht von Graefe bei seiner letzten Begegnung mit Mooren über Donders gesagt: „Ja, ja, dieser große Mann mußte bei der Physiologie bleiben. Auf diesem Felde lag seine Bedeutung. Das Augenoperieren konnte er uns kleinen Leuten überlassen, wir verstehen das eben besser.“

Gerade der Einfluß von Donders hat 30 Jahre lang die Augenärzte von der Operation zurückgehalten. Nur der vor kurzem in Wien verstorbene Professor Mauthner sagte im Gegensatz zu der großen Autorität von Donders schon vor 20 Jahren sehr richtig:

„Wüßte ich eine Staroperation, die ungefährlich wäre, so würde ich sie unbedingt allen höchstgradig Kurzsichtigen empfehlen, da sie dann sowohl in die Ferne wie in die Nähe weit besser daran wären.“

Da aber damals die Operationen noch immer gefahrvoll und schmerzhaft waren, so wagte sich eben kein Arzt an sie.

Nun war im Jahre 1884 das Kokain von Koller entdeckt worden, jenes unschätzbare Mittel, von dem einige Tropfen genügen, um das Auge für die größte Operation unempfindlich zu machen. (Vergl. meinen Aufsatz über das Kokain in der „Gartenlaube“ 1885, S. 67.) Das gefährliche und vielfach die Operationen störende Chloroform brauchen wir seitdem nicht mehr.

Zudem war eine Umwälzung in der ganzen Chirurgie durch die Antiseptica, Karbol und Sublimat, entstanden; die peinlichste Auskochung der Instrumente, die Reinigung der Hände des Operateurs und der Augen des Kranken vor der Operation schützen fast völlig vor Eiterung des Auges. Während vor 40 Jahren noch 25% der Staroperationen durch Vereiterung zu Grunde gingen, war die Zahl allerdings vor 20 Jahren schon auf 5% gesunken; jetzt beträgt sie kaum 1 aufs Hundert. Es ist eigentlich wunderbar, daß unter diesen Verhältnissen niemand mehr an jene wichtige Operation dachte.

Da nahm ein junger, bis dahin unbekannter Augenarzt in Pilsen, Dr. Fukala, jetzt in Wien, trotz aller Warnungen der alten Meister die Frage praktisch im Jahre 1888 auf und teilte seine ersten ausgezeichneten Resultate im Jahre 1890 mit.

Er sagte ganz richtig „Probieren geht über Studieren“ und kämpfte mit großer Energie für seine Operationsmethode auf den augenärztlichen Kongressen in Heidelberg und Edinburg, unbekümmert um die Zweifel, welche von vielen Seiten anfangs gegen die optischen Erfolge geäußert wurden. Heute erkennen wohl alle erfahrenen deutschen Operateure an, daß er sich ein ungeheures Verdienst erworben hat; mit Recht verdient er den größten Dank und die größte Anerkennung, da seine Operation ganz sicher und gefahrlos ist.

Ich bekenne offen, daß ich, obgleich ich seit über 30 Jahren eine außerordentlich große Menge hochgradig Kurzsichtiger zu behandeln habe, mich erst sehr spät entschloß, Fukalas Methode zu versuchen.

Auch ich stand zu sehr unter dem Einfluß meiner großen Lehrer Graefe, Donders und Arlt. Erst als ich einige Fälle gesehen, welche Mooren in Düsseldorf glänzend operiert hatte, wurde ich von meinem Vorurteil befreit, und ich bin glücklich, daß ich die Methode Fukalas angenommen habe; denn die Resultate sind die allerschönsten.

Worin besteht nun der Fortschritt, den wir Fukala verdanken? Er versuchte nicht, die durchsichtige Linse herauszunehmen, sondern er machte sie künstlich undurchsichtig, trübe; er verwandelte sie künstlich in einen grauen Star.

Man weiß seit langen Zeiten, daß, wenn jemand sich mit einer Nadel in die Linse sticht, die durchsichtige Linse sich trübt, grauen Star bekommt, und man benutzt daher schon seit Jahrhunderten eine Nadel, um gewisse langsam fortschreitende Starformen, d. h. unvollkommen getrübte Linsen, durch einen Einstich in die Linse schneller zur Reife zu bringen. Allein die gesunde, durchsichtige Linse hat man vor Fukala nicht getrübt. Er aber trübte sie durch einen Nadelstich, das ist die Voroperation, reifte künstlich dadurch die Linse, und dann nach einigen Wochen nahm er die getrübte Linse aus dem Auge mit Leichtigkeit heraus. –

Wir müssen nun zunächst fragen: Wie sieht denn ein Kurzsichtiger, dem die Linse herausgenommen ist, in die Ferne? Wir haben es schon oben in Figur 15 gezeichnet. Er braucht nunmehr für die Ferne kein Glas mehr. Die Strahlen vereinigen sich jetzt auf der Netzhaut, wenn die Kurzsichtigkeit ungefähr der Nummer 12 bis 14 entsprach. War die Kurzsichtigkeit noch höher, so daß Gläser Nummer 15 bis 20 etwa gebraucht werden mußten, so wird er noch ein Konkavglas für die Ferne haben müssen, aber ein ganz schwaches, das er ohne Verkleinerung benutzen kann; oder aber die Kurzsichtigkeit war geringer als 12 bis 14; hatte er z. B. nur vorher konkav 10. gebraucht, so braucht er nun für die Ferne ein Konvexglas, aber auch nur ein schwaches, welches er ohne Beschwerden tragen kann.

Anders liegt die weitere Frage: Wie sieht er nun in die Nähe? Er hat ja die Accomodation vollkommen verloren, die Linse fehlt ihm doch. Rein theoretisch betrachtet, müßte er jetzt für jede Entfernung, in die er blickt, eine andere konvexe Brille haben. Aber so liegen die Dinge glücklicherweise nicht.

Wie die Blinden bekanntlich einen äußerst feinen Tastsinn haben, so haben die hochgradig Kurzsichtigen eine unglaubliche Uebung, ihre Zerstreuungskreise zu entziffern, sie, wie man sagt, zu verarbeiten. Nach der Operation sind nun aber die Zerstreuungskreise sehr klein.

Es tritt auf diese Weise ein Ersatz für die Accomodation, die ihnen fehlt, ein, der gegen früher noch besser für sie ist. Denn wenn jemand vorher so kurzsichtig war, daß er nur noch bis 5 cm in die Ferne sah, so konnte er wohl auch durch die Accomodation noch bis 4 cm sehen; aber was hatte er von diesem Centimeter für Nutzen in solcher Nähe? Jetzt, nachdem seine Linse herausgenommen, sieht er in einer viel größeren Strecke scharf. Es sind Fälle beobachtet, wo solche Geheilte ohne Glas auf 35 bis 60 cm lasen; braucht er aber eine Brille, so sucht man sie für eine Entfernung von 30 cm aus, und mit dieser sieht er nicht bloß auf 30 cm, sondern in sehr geringen Zerstreuungskreisen noch ein bedeutendes Stück vor und hinter dieser Entfernung mit Leichtigkeit. Er hat trotzdem keine Accommodation mehr, erhöht also beim Nahesehen nicht den Druck in seinem Auge.

Dazu kommt, daß er nun seine Convergenz auch nicht anzustrengen braucht. Da er nicht mehr in so großer Nähe lesen kann, muß er eben das Buch weiter forthalten; er braucht die inneren geraden Augenmuskeln also gar nicht zusammenzuziehen; er braucht nicht stark zu konvergieren. Es wird also im Innern des Auges kein großer Druck entstehen und die Ausdehnung der Augenhäute nicht weiter fortschreiten.

Ebensowenig wird eine Stauung in den Blutadern eintreten, da er ja den Kopf nicht mehr auf die Schrift aufzulegen braucht. Er kaun also jetzt ganz ohne oder nur mit schwachen Konvexgläsern ohne Accommodation, ohne Convergenz und ohne Kopfsenkung lesen. –

Zu allen diesen Vorteilen kam einer, auf den man gar nicht [871] vorher hatte rechnen können, der sich aber in fast allen Fällen glänzend gezeigt hat.

Es wird nämlich die Sehschärfe der Kranken nach der Operation ungemein gebessert. Die Sehschärfe nennen wir das Vermögen, Buchstaben von bestimmter Größe in bestimmter Entfernung erkennen zu können. Diese Sehschärfe ist bei den hochgradig Kurzsichtigen darum stets so gesunken, weil die nötigen Konkavgläser zu kleine Bilder liefern. Liest jemand die Leseprobe „Nosu“ in der untenstehend abgedruckten Schriftgröße

Nosu

(Snellen 6) mit oder ohne Glas bis 6 m, so ist seine Sehschärfe 6/6 = 1; liest er es trotz aller Gläser nur bis 3 m, so ist seine Sehschärfe 3/6 = 1/2; liest er es nur bis 1 m, so ist seine Sehschärfe = 1/6.

Nun sind schon viele Kurzsichtige operiert worden, die selbst mit den besten Gläsern nur 1/6 Sehschärfe vorher erzielen konnten und die dann nach der Operation ohne Glas oder mit ganz schwachen Gläsern 3/6 und mehr Sehschärfe hatten.

Anfangs hielt man die Angaben von Fukala für übertrieben. Allein ich habe selbst gleich beim ersten Male, wo ich die Operation machte, bei einem siebzehnjährigen jungen Mann, der vor der Operation mit dem schärfsten Konkavglase Nummer 20 höchstens 1/5 Sehschärfe hatte, nach der Operation ohne Glas 3/5 Sehschärfe bekommen; seine Sehschärfe war also verdreifacht worden. Das Schöne ist dabei, daß die Sehschärfe von Monat zu Monat besser wird. Fukala und andere Operateure haben sie im Laufe eines Jahres noch um 1/10 bis 6/10 sich bessern sehen. Vermutlich tritt eine langsame Besserung der Thätigkeit der Netzhaut ein durch Uebung im Fernsehen, welches ja vor der Operation von den Kranken gar nicht geübt werden konnte.

Die Operierten fühlen sich nach alledem jetzt so glücklich wie niemals vorher.

Eine wichtige Frage ist die: In welchem Alter soll man operieren?

Da bei jungen Leuten die Quellung der Linse und die Aufsaugung ihrer Reste eine leichtere ist als im Alter, so empfahl Fukala anfangs, die Operation noch vor dem 24. Jahre auszuführen; allein andere Operateure hatten ebenso günstige Erfahrungen bei Leuten von 35 bis 40 Jahren. Professor Pflüger in Bern operierte einen 48jährigen Arzt mit bestem Erfolge. Man fürchtete sich, ältere Personen zu operieren, da im Alter die Quellung der Linse viel langsamer vor sich geht, wenn schon ein fester Kern in der Linse sich gebildet hat; man glaubte, daß dann leichter Entzündung und Reizerscheinungen auftreten könnten. Nun haben aber Sattler und von Hippel nachgewiesen, daß glücklicherweise die Linse gerade der Kurzsichtigen im hohen Alter zu keiner Kernbildung neigt, und daß daher auch Personen, die über 60 Jahre alt sind, mit Glück operiert werden können.

Natürlich wird man nicht beide Augen zusammen operieren, wohl aber eines nach dem andern.

Man hatte früher geglaubt, daß man ja ein Ange, das operierte, nun für die Ferne und das andere, nicht operierte, wie bisher für die Nähe benützen lassen könne. Was hat aber der Kranke dann für einen Gewinn, wenn er sich beim Schreiben mit dem kurzsichtig gebliebenen Auge doch wieder so stark auflegen müßte? Wenn aber beide Augen nacheinander operiert werden, dann kann es sogar zum räumlichen stereoskopischeu Sehen mit beiden Augen zusammen kommen.

Von großer Wichtigkeit ist natürlich die Frage: Hindert die Herausuahme der Linse das weitere Fortschreiten der Kurzsichtigkeit?

Wir können nur antworten: Wahrscheinlich. Die Linse ist heraus, es giebt keine Accommodation, sie kann also nicht den Druck vermehren.

Eine Convergenz für die Nähe ist nicht mehr nötig, die geraden Augenmuskeln brauchen also nicht mehr den Augapfel zu drücken, die Kranken brauchen sich nicht mehr aufzulegen, der Kopf wird nicht gesenkt, es entsteht also durch Blutstauung im Auge kein Druck mehr. Eine Reihe Bedingungen für das weitere Längenwachstum des Auges ist also durch die Operation genommen. Fukala konnte auch bei solchen Kurzsichtigen, bei denen er nur ein Auge operiert hatte, feststellen, daß teilweiser oder gänzlicher Stillstand der Kurzsichtigkeit eintrat. Darin liegt einer der bedeutungsvollsten Gewinne der operativen Behandlung. Die Schädlichkeiten des Lesens und Schreibens, der Nahearbeit sind behoben.

Natürlich können nur jahrelange Beobachtungen darüber entscheiden, ob für alle Zeiten die Gefahr der Blutung oder Zerstörung am gelben Fleck der Netzhaut oder das traurige Los der Netzhautablösung abgewendet ist.

Wenn schon schwere Zerstörungen in der Tiefe des Auges vorhanden sind, bei notorisch kranken Augen, da wird die Operation nichts nützen. Wenn aber die Kurzsichtigkeit durch übermäßige Nahearbeit, durch Ueberbürduug der Accommodation und Convergenz veranlaßt worden ist, dann ist wohl Stillstand zu erwarten.

Professor von Hippel konnte bei keinem Operierten im Laufe von 2 Jahren eine Zunahme der Kurzsichtigkeit finden. Es sind nun wohl Fälle dagewesen, wo später Ablösung der Netzhaut auf dem nicht operierten Auge eintrat, während das operierte gesund blieb; freilich sind auch einige solche Fälle gesehen worden, wo trotz der Operation Netzhautablösung eintrat.

Wenn aber das Damoklesschwert der Ablösung selbst über den Operierten weiter schwebt, so haben sie ja doch wenigstens bis zu dieser vielleicht erst nach langen Jahren eintretenden Katastrophe besser gesehen als ohne die Operation.

Der Wert der Operation ist also gewiß ein ganz großartiger. Ich stimme nach meinen Erfahrungen vollkommen denjenigen Kollegen bei, welche die Fukalasche Methode zu den hervorragendsten Leistungen der Augenheilkunde rechnen; von Hippel sagt sehr treffend: „Dem durch grauen Star Erblindeten geben wir durch unsere Kunst ein Gut wieder, dessen er nur vorübergehend beraubt war; dem hochgradig Kurzsichtigen erschließen wir eine neue Welt und verhelfen ihm damit zu Lebensgenüssen, von denen er bis dahin keine Ahnung hatte.“

Professor Vossius stellt die Operation noch höher als die von Graefe entdeckte, hochgeschätzte Heilung des „grünen Stares“; denn dieser ist nur eine im ganzen seltene Krankheit des höheren Alters, die Kurzsichtigkeit aber macht ihren traurigen Einfluß schon in der Jugend geltend.

Es wird also durch Fukalas Operation die Existenz vieler Personen gebessert.

Der Kranke wird berufstüchtig und erwerbsfähig, und die Sehschärfe wird gebessert; mehr kann man von einer Operation nicht verlangen.

Bei der heutigen antiseptischen Methode ist die Operation übrigens vollkommen gefahrlos; eine Vereiterung des Auges, die man früher so sehr fürchtete, ist dabei ganz ausgeschlossen. Allerdings muß der Kranke lange Zeit unter der Aufsicht des Arztes bleiben; denn nach der Anreifung der Linse kann man jeden Augenblick gewärtig sein, daß man quellende Linsenmassen aus dem Auge lassen muß; und das kann auch zwei- bis dreimal notwendig werden. Da darf nicht einen Tag gezögert werden. Aber diese Operationen sind bei Kokainanwendung ganz schmerzlos; ja, was das Vertrauen der Kranken am meisten weckt, ist, daß dieselben in der Mehrzahl der Fälle außerhalb einer Anstalt behandelt werden können, oder nur 2 bis 3 Tage in der Klinik zu bleiben brauchen. Es ist freilich schade, daß nur die hohen Grade von Kurzsichtigkeit, die konkav 10 bis 20 brauchen würden, operierbar sind.

Das Wichtigste ist und bleibt das Urteil der Kranken, und diese sind alle zufrieden und dankbar und können meist kaum die Operatiou des zweiten Auges erwarten. Genug, zu den großen Wohlthätern der Augen der Menschheit, zu Helmholtz, welcher den Augenspiegel erfand, zu Albrecht von Graefe, welcher die Heilung des „grünen Stares“ erfand, zu Koller, welcher das Kokain erfand, zu Lister, welcher die Antisepsis erfand, gesellt sich ebenbürtig Vincenz Fukala.


  1. Zu beziehen in größerer und kleinerer Ausführung von Optikus Heidrich in Breslau, Schweidnitzerstraße 27. Das Modell ist auch im Hygieinischen Museum und in der Urania in Berlin ausgestellt.