Ein Schaulaufen, bei dem Wagner wohl lieber weggeschaut hätte
Wagners Meistersinger verhandeln Kunst und Regelbruch. Auf dem roten Teppich davor regiert dagegen die Regelkonformität in Kobaltblau. Nur eine traut sich den Versace-Moment. Eine Stilkritik.
Wagners Meistersinger von Nürnberg ist ein mehrstündiger Streit darüber, wie Kunst funktioniert. Muss sie sich an Regeln halten? Oder darf sie klingen, wie sie will, solange sie begeistert? Auf der Bühne ringt ein ganzes Nürnberg um Maß und Anmaßung, Zunftstolz und schöpferische Freiheit bis hin zur Prügelei.
Draußen vor dem Festspielhaus hingegen ist der Fall schneller geklärt: Wer sich dort in Pose wirft, will keine Regeln brechen, sondern bloß gesehen werden. Ohne jede stilistische Originalität.
Bei Charlotte und Friedrich Merz sehen wir schon die erste Referenz an die „Meistersinger von Nürnberg“. Natürlich keine beabsichtigte. Das Kleid strahlt in Beckmesser-Blau. Diesem Kaufhaus-Kobaltton, der seit Jahren im Ministeriumsnewsletter für angemessene Damenmode bei Festspielen als bewusste Abkehr von Schwarz angepriesen wird – und damit pedantische Regelkonformität beweist wie kaum ein anderer Farbton. Die „Clutch“ ist ein Kulturbeutel und viel zu geräumig für den roten Teppich.
Seit Julia Klöckner begonnen hat, sich im Bundestag als so etwas wie eine Stilbeauftragte zu inszenieren (und damit nur noch mehr Linke dazu inspiriert, modisch unangenehm aufzufallen), gilt sie seltsamerweise auch als stilvoll – dabei sieht sie lediglich gut aus. Ein Reflex vieler, die Mode für oberflächlich halten, nichts davon verstehen und dann selbst die oberflächlichsten Schlüsse ziehen.
Um bei den Meistersingern zu bleiben: Regeln zu brechen, ist wünschenswert. Aber ein Unterhemd unter der Robe eher unangebracht, vor allem im Blitzlichtgewitter.
Ilse Aigner, die schon als künftige Bundespräsidentin gehandelt wird, beweist, dass sie den wesentlichen Teil dieser Aufgabe, nämlich zu repräsentieren – nicht erfüllt.
Wer an diesem Abend auf Beckmesser-Modus schaltet – Regeln zählt, Abweichung scheltet – und zu grell, zu laut, zu viel von oben herab abwertet, hat das Libretto nicht verstanden: Versace auf dem Grünen Hügel ist der erste originelle Gedanke seit Jahren. Karin Söder vollzieht hier einen Regelbruch, wie Wagner ihn geschrieben hätte: entschieden, souverän, voller Zitatlust. In dem Jahr, in dem sich Donatella Versace aus der Mode verabschiedet hat, in dem linksgrüne Spießer endlich an Deutungshoheit verlieren, kommt Söder in dieser gut gelaunten Robe mit zartrosa Seidentuch, das im Wind der Veränderung weht.
Veränderung auch bei Ricarda Lang, der Ozempic super steht. Und das Bodyconkleid ist so ein Kleid, das man eben dann anzieht, wenn man seine Figur zeigen will. Aber das sind nur Äußerlichkeiten, konzentrieren wir uns aufs Innere: die hautfarbene Strumpfhose, die man unter so einem engen und bodenlangen Sommerkleid definitiv nicht braucht, die sie aber wie einen „man macht das halt so“ Reflex trägt. Modische Freiheit sieht dann eben doch anders aus.
So nämlich. Kein Wunder, dass sich Bayreuths Oberbürgermeister Thomas Ebersberger (CSU) mit seiner Oberbürgermeister-Kette fürs Foto am liebsten neben Gloria von Thurn und Taxis positioniert. Die Kette, die halt gezeigt werden will, ist dann wohl auch der Grund, warum er sein Jackett auf dem roten Teppich nicht schließt.
Bei Angela Merkel fragt man sich unwillkürlich: Wo ist eigentlich BFF Claudia Roth? Beleidigt, weil ihr Vorschlag von vergangenem Jahr, die Opern auf dem Festival diverser zu gestalten, nicht angenommen wurde? Jedenfalls zeigt ihre Abwesenheit, dass sie nie aus Liebe zu Wagner da war, sondern eher als Kulturstaatsministerin qua Amt.
Überhaupt: Linke, Grüne, Rote sind dieses Jahr auffällig abwesend auf dem roten Teppich. Was nur folgerichtig ist. Wer die kulturelle Hegemonie längst beansprucht, kann sich Wagner auch sparen. Und morgen ist ja auch CSD.